Eigennamen versus ISO. Fantasienamen verschleiern den wahren Werkstoff.

Ein Name ist entweder die Bezeichnung für ein Individuum oder ein Ding oder alle Angehörigen einer Gattung. Und so existiert auch für jeden Kunststoff ein technischer Name und zusätzlich eine nach DIN EN ISO 1043 genormte Abkürzung.

Heute gibt es mehrere hundert technische Kunststoffe mit vielen tausend Handelsnamen und danach eine grössere Vielfalt fantasievoller Produktnamen. Eine gigantische Menge an Namen, die niemand mehr unterscheiden kann.

Begonnen hat die Verwirrung im 19. Jahrhundert mit der Entstehung der Industrie und der Fertigung von Massengütern. Die Produkte waren ähnlich oder wurden nachgeahmt und zum Schutz dagegen gab es die Produkt- oder Eigennamen.

Bei den technischen Kunststoffen erfolgt die Namensgebung auf zwei Ebenen. Zum einen sind es die Rohstoffhersteller, die den Kunststoffen einen Handelsnamen zuteilen. Und zum anderen sind es einige kleine und mittlere Anbieter, die ihren Halbzeugen, die manchmal gar nicht selbst hergestellt werden, Produkt- oder Eigennamen geben.

Angestrebt wird das, was der Bayer AG mit dem Aspirin gelungen ist. Aspirin ist ein Eigenname für ein Acetylsalicylsäurepräparat, geworben wird aber nicht für ein x-beliebiges  Acetylsalicylsäurepräparat sondern für Aspirin. Mittlerweile ist die Marke Aspirin untrennbar mit der Eigenschaft des Produktes verbunden und steht in den USA sogar gleichberechtigt neben der traditionellen Bezeichnung Acetylsalicylsäure.

Namhafte Kunststoffhersteller verwenden Eigennamen, um eine Ordnung im Gesamtsystem herbeizuführen. Nur so ist die Trennung und Vergleichbarkeit der verschiedenen Kunststoffe möglich.

Auf der zweiten und untergeordneten Ebene sorgt die Verwendung von Eigennamen für Chaos, denn die dort ohne jede Kontrolle ausgedachten zigtausend Produktnamen sind nicht mehr zu überblicken. Die technischen Namen und ISO-Bezeichnungen werden verborgen und oft sogar die Eigenschaften der Kunststoffe in Nebel gehüllt.

Die Motive dieser kleinen und mittleren Verarbeiter scheinen vielfältig und kaum zu greifen. Bei eingehender Betrachtung treten jedoch zwei Hauptbeweggründe in den Vordergrund:

  • Die Vorspiegelung von fachlicher Kompetenz soll das Prestige heben und den Verarbeiter in den Rang oder die Nähe eines Rohstoffherstellers befördern.
  • Der Abnehmer soll gebunden werden und die Möglichkeit zum Vergleich der Produkte mit denen anderer Anbieter verlieren.

So wird das Verhalten mancher kleiner oder mittelgrosser Verarbeiter beim Verbergen der Zusammensetzung oder Identität ihrer Werkstoffe zu einer Manipulation.

Haben es verschlüsselte Werkstoffbezeichnungen erst einmal in die Zeichnung, Stückliste oder den Bestelltext geschafft, rückt der Lieferant in eine Monopolstellung. Die Nachteile durch fehlende Flexibilität und Ausweichmöglichkeiten sind bei Preisverhandlungen das geringere Übel. Bei Lieferengpässen oder im extremsten Fall bei einem Lieferantenausfall drohen gravierende Folgen. Zudem leidet die konstante Qualität und das in der Norm festgelegte Eigenschaftsbild verwischt.

Auf der Abnehmerseite mag man dies aus einer gewissen Hilfslosigkeit heraus als branchenübliche und lästige Gepflogenheit hinnehmen, sollte sich aber bei aufgeklärter Herangehensweise zumindest verunsichert fühlen. Aus merkantiler Sicht ist der Einsatz von Halbzeugen mit verschlüsselten Eigennamen nicht zu verantworten.

Die kritische Betrachtung der Situation beim Umgang mit Eigennamen soll nicht missverstanden werden. Gegen einen sinnvollen Einsatz von Markennamen durch im Markt etablierte Rohstoffkonzerne ist nichts einzuwenden. Wegen der begrenzten Zahl der Hersteller bleibt die Vergleichbarkeit bestehen, auch werden die technischen Namen, ISO-Bezeichnungen und Werkstoffeigenschaften auf dieser Ebene transparent gehalten und offen kommuniziert. Folgenschwer für technische und kaufmännische Prozesse hingegen können die unkontrollierten Verschleierungen auf der untergeordneten Ebene der kleinen und mittleren Verarbeiter sein.

Der Wissenschaftler Rudolf Virchow sagte einst: „Durch nichts bezeugt der Sachverständige deutlicher seine Befähigung, als durch den korrekten Gebrauch der technischen Ausdrücke, durch nichts imponiert er mehr und nützt er mehr.“ Das gilt auch für den mittelständischen Kunststoffverarbeiter. Ganz besonders dann, wenn er die Interessen seiner Kunden wahren und sich im Markt dem offenen Wettbewerb stellen will.